BehindertensportInDerPandemie

Rick Hellmann ist Profi-Sportler. Als Teil der Nationalmannschaft zählt er zu den besten Para-Badmintonspielern Deutschlands. Die Pandemie trifft den Behindertensport gleich doppelt. Viele der Sportler und Sportlerinnen gehören zu den sogenannten vulnerablen Gruppen. In dem Beitrag erfahren wir, wie Rick als Sportler die Pandemie erlebt und mit welchen Maßnahmen die Vereine ihre Mitglieder schützen.

Hier lest ihr das Interview im Wortlaut:

Welchen Stellenwert nimmt der Team- und Mannschaftssport in Ihrem Leben ein?
Bisher einen sehr großen, ich habe für die Qualifikationsphase zu den Paralympischen-Spielen andere wichtige Projekte und Aspekte in meinem Leben zurückgestellt, um Sport zu machen. Standardmäßig habe ich in etwa 20 Stunden die Woche in der Halle verbracht.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie im ersten Lockdown auf den Sport?
Wir haben schon sehr lange vor dem ersten Lockdown Vorkehrungen getroffen. Also ich bin Mitglied in mehreren Clubs. Im Rollstuhlsportclub haben wir zum Beispiel viele Mitglieder mit Vorerkrankungen oder Behinderungen, die zu einem schwereren Verlauf bei Corona führen könnten. Querschnittsgelähmte zum Beispiel – zu denen ich ja auch gehöre – haben oft nicht die volle Kontrolle über die unteren Bauch- und Rückenmuskeln, was die tiefe Atmung einschränkt. Bei einer Atemwegserkrankung liegt das Problem eigentlich auf der Hand. Es hieß also schon früh: Abstand halten, es gibt kein Umarmen mehr oder auch kein Händeschütteln oder sonstiger Körperkontakt soll vermieden werden und die Hände sollen gründlich gewaschen werden. Das wurde dann nochmal verschärft, dass zum Beispiel der Aufzug nur noch von einer Person benutzt werden durfte. In meinem zweiten Badmintonclub, der ist für stehende, nicht-behinderte. Den Club des Bundesministeriums für Wirtschaft- und Energie, da haben wir uns glaube ich schon im Januar die Füße, statt die Hände gegeben und die Mitglieder, die vom chinesischen Neujahrsfest zurückkamen, haben sich zwei Wochen in Quarantäne begeben. Abklatschen mit dem Doppelpartner, wenn man zum Beispiel einen Punkt gemacht hat, das haben wir weggelassen. Und wir haben uns bedankt für ein schönes Spiel, indem wir die Badmintonschläger berührt haben, statt die Hände zu geben. So ähnlich wie Ritter der Tafelrunde oder die drei Musketiere. Und bei meinem Fitnessclub. Also ich bin in einem Box-Club, Sparta 58, hat man sich weniger Gedanken gemacht. Aber es kamen immer weniger Mitglieder, sodass wir den Abstand halten konnten. Ansonsten wurde die Gruppe aufgeteilt und einige haben draußen trainiert. Und so persönlich, als der erste Lockdown dann kam und erstmal Sport gar nicht mehr möglich war, hab ich ein paar Kilos zugenommen, also ich bin von glaube ich 71 Kilo auf 75 hoch, aber die bin ich auch inzwischen wieder los und bin jetzt glaube ich auf 69 Kilo stabilisiert – einfach, weil mir die Bewegung gefehlt hat.

Konnten Sie trotz des Lockdowns Sport treiben, um fit zu bleiben?
Also in der Nationalmannschaft hat der Bundestrainer relativ schnell eigentlich ein tägliches Training über Skype eingerichtet. Am Anfang waren das sechs Tage in der Woche etwa 1-2 Stunden im Team, mit wechselnden Kraft- und Koordinationstrainings Montag, Mittwoch, Freitag und ein Cardiointervall am Dienstag, Donnerstag und Samstag und obendrauf sollte jeder eine Einheit individuell trainieren. Da lag der Fokus bei mir auf Arm, Kraft und Ausdauer.

Wie waren die Hygienemaßnahmen im Sommer, als die Hallen wieder geöffnet wurden?
Die Hygienekonzepte waren zwischen den Clubs gering unterschiedlich. Ganz am Anfang gab es keine allgemeinen, amtlichen Vorgaben für den Sportbetrieb. Also mussten Freiwillige und Trainer:innen in jedem Club ein eigenes Konzept entwerfen und behördlich absegnen lassen. Die Ämter waren zum Teil so überlastet, das wochenlang keine Antwort zurückkam. Soweit ich das mitbekommen habe, waren die Genehmigungen, wenn sie dann kamen, auch Ja-Nein-Antworten ohne Differenzierung, ob gewisse Maßnahmen unnötig wären. Das hat dazu geführt, dass Maßnahmen zwischen den Clubs ausgetauscht wurden, wenn dann mal eine Hygienekonzept genehmigt wurde. So nach dem Motto: Deren Konzept wurde genehmigt, also machen wir das genauso oder besser. Und dadurch wurden Regeln ja noch eher verstärkt. Aber die Einsicht der Sportler für solche Veränderungen waren groß, um endlich wieder Sport machen zu können. Die Regeln waren meistens folgende: Also erstens, um die Anzahl der Spieler und Spielerinnen klein zu halten, musste man sich vorher über ein Doodle anmelden. Es gab Anwesenheitslisten mit Kontaktdaten. Der Unterschied war zum Beispiel, ob man Adresse, E-Mail und Telefonnummer angeben musste oder nur zwei davon. Im BMWI musste jeder seinen eigenen Stift für diese Liste mitbringen. Vor dem Training wurde mindestens 10 Minuten gelüftet, um die Luft von anderen Sportlern, die vorher oder nach uns die Halle benutzt haben, auszutauschen. Und dafür wurde die Trainingszeit entsprechend gekürzt. Umziehen war nicht erlaubt, wir sind in unseren Trainingsshirts und Hosen angereist und haben uns beim Verlassen der Halle nur die Jacken übergezogen. Klar, es mussten Hände desinfiziert werden beim Betreten der Halle. Die meisten Clubs haben die Desinfektionsmittel gekauft und bereitgestellt. Es durften nur noch eigene Schläger benutzt werden, wo es früher üblich war Schläger zu verleihen, wenn jemandem die Spannung gerissen ist. Auch vereinseigene Schläger wurden nicht mehr herausgegeben. In der Halle mussten alle Masken tragen, bis zu dem Moment, wo wir auf das Feld gegangen sind. Beim RSC mussten alle, die nicht gespielt habe die Halle sogar verlassen. Beim RSC gab es auch geregelte Ein- und Ausgänge, um Rollstuhlstau auf Fluren und an einer Tür zum Beispiel zu vermeiden. Alle Fenster und Türen waren während des Trainings offen und Körperkontakt und duschen waren untersagt. In der Halle hatte auch jeder und jede seinen eigenen Platz für Sportsachen mit mindestens zwei Meter Abstand, wo wir früher eng im Kabuff zusammen gesessen haben. Die Trainer haben den Netzaufbau gemacht und Sportgeräte – bei uns jetzt die Netzhaltestangen – und die Bälle desinfiziert. Direkt nach dem ersten Lockdown durfte bei uns kein Doppel gespielt werden. Später wurde das erlaubt. Als Doppel dann erlaubt wurden, gab es auch erstmals feste Trainingspartner und die Bälle wurden oft gewechselt und desinfiziert. Zuschauer waren in der Halle nicht mehr erlaubt. Früher haben Freunde oder Familie auch mal länger zugeschaut, bis man sich dann gemeinsam verabschiedet hat. In der Nationalmannschaft gab es vor der Einreise zum Mannschaftstraining einen zweiseitigen Corona-Fragebogen und eventuell verpflichtende Corona-Tests und Unterbringung in Einzelzimmern. Früher wurden wir immer in Zwei- oder Dreibettzimmer untergebracht. Wer Krankheitssymptome hatte, sollte selbstverständlich zuhause bleiben. Und die Regeln wurden mindestens einmal wöchentlich an alle Mitglieder gemailt. Die Trainingsleiter oder -leiterinnen haben auf die Einhaltung der Regeln geachtet und wer sich nicht daran gehalten hat, durfte nicht trainieren oder musste die Halle verlassen. Also wir haben zum Beispiel Leute abgewiesen, die ohne Anmeldung aufgetaucht sind und wir die maximale Teilnehmerzahl überschritten hätten. Ich gebe zu, manche Maßnahmen waren leichter einzuhalten als andere: Beim Netzaufbau nicht mehr helfen zu müssen war eine schöne Veränderung, andererseits, nicht mehr zu duschen und seinen Abfall mit nach Hause nehmen zu müssen, das waren nervige Regeln. Im Nachhinein denke ich, die geltenden Konzepte waren mindestens ausreichend, denn mir sind in unseren Sportclubs keine Coronafälle bekannt geworden.

Haben Sie sich im Sommer – als Hallensport wieder erlaubt war – sicher gefühlt?
Ja, ich hab mich beim Sport sicherer gefühlt, als auf dem Weg dorthin. In den öffentlichen Verkehrsmitteln haben viele Fahrgäste entweder keine Maske getragen oder die Maske nicht richtig getragen – zum Beispiel unter der Nase. In der Halle, auf Olympiastützpunkten der Sportakademie und sonstigen Sporteinrichtungen haben fast alle die AHA+L-Regeln vorbildhaft eingehalten. Zum Beispiel auf einem Leistungslehrgang hab ich etwa 100 Leute täglich oder 100 Begegnungen täglich gehabt und innerhalb von einer Woche habe ich da vielleicht drei Menschen gesehen, die ihre Maske nicht richtig getragen haben. Also als deutscher Spitzensportler sehe ich das Coronavirus mit einen bisher ungeklärten Langzeitfolgen zum Beispiel auf die körperliche Leistungsfähigkeit als potentielle Bedrohung für meine Karriere und ich denke, dieser Gedanke ist in Sportskreisen sehr weit verbreitet.

Ist es richtig, dass das Training nun seit November wieder untersagt ist?
Ich sehe zumindest ein, dass es notwendig war, um die Kontakte zu verringern. Ich hab persönlich die Infektionszahlen fast täglich verfolgt und die befanden sich seit Sommer ja im ständigen Anstieg. Also nach dem ersten Lockdown wurden zuerst die Outdoor und die kontaktlosen Sportarten erlaubt, wie Tennis und auch Badminton. Während Judo zum Beispiel untersagt wurde. Über diese Differenzierung habe ich mich damals sehr gefreut. Inzwischen sind die Infektionszahlen aber so hoch gewesen, besonders in den Berliner Bezirken wo ich lebe und auch trainiere, dass ich schon ein paar Wochen vor dem zweiten Lockdown nicht mehr zum Hallentraining gegangen bin.

Treiben Sie jetzt trotzdem Sport?
Ja, auch das war schon vor dem zweiten Lockdown zum Teil problematisch. In Sportklamotten ist man ja relativ dünn gekleidet, weil man ja auch schwitzt. Und dann im Oktober zum Beispiel noch Türen und Fenster offen zu lassen – es war schon zum Teil auch sehr kalt – aber ich hab durch die Nationalmannschaft eine Polar-Trainingsuhr bekommen. Die überwacht meinen Schlaf, meinen Kalorienverbrauch, meinen Puls und viel mehr beim Training. Der Bundestrainer hat somit eine Übersicht über das, was ich mache und ich kann auch den Überblick behalten. Die Hallen und Fitnessstudios haben inzwischen ja wieder geschlossen, aber ich habe mir zuhause ein kleines Fitnessstudio eingerichtet, wo ich Klimmzüge machen kann und etwa 60 Kilo stemmen kann, ähnlich, wie ich das auch im Fitnessstudio machen kann. Badmintontraining kann ich inzwischen nur noch privat organisieren. Das ist das größte Problem, was ich habe. Also zum Beispiel sich mit Freunden zu treffen – es gibt zwar kein offizielles Training mehr – aber einige der Mitglieder in den Clubs, in denen ich vorher war, sind auch schon vorher gute Freunde von mir gewesen. Deswegen, wenn man sich jetzt mal zu zweit trifft und draußen Badminton spielt, das ist momentan die Zwischenlösung, die ich beibehalten kann, ohne die Regeln zu brechen.

Haben Sie Angst vor einer Infektion / vor einem schweren Krankheitsverlauf?
Ja. Also die Pandemie hat schon sehr enge Kreise um mich gezogen. Mein kleiner Bruder Pierre hatte im Frühjahr Corona. Er war wohl einer der Ersten in Deutschland. Er wurde nie getestet, weil es damals noch nicht genug Tests gab und er musste sich zuhause auskurieren lassen, weil er kein Risikopatient war. Er ist jetzt Ende 20 und es ging ihm scheinbar nicht schlecht genug. Aber er war krank und er hatte oft Atemnot. Und um das mal in den Kontext zu setzen: Er ist Marathonläufer in einem professionellen Team, das 2018, glaube ich, über 500 Kilometer durch die Kalifornische Wüste gelaufen ist. Und er läuft täglich 10 Kilometer die Spree entlang. Inzwischen geht es ihm wieder gut und er ist ein Bild von Fitness. Aber ich dachte mir: Wenn es ihm mit einem ähnlichen Körperbau und ähnlicher Genetik schon so schlecht ginge, könnte es ein größeres Problem für mich mit meiner Behinderung werden. Seitdem hat auch einer meiner Kollegen Corona gehabt und einer meiner besten Freunde und seine sieben Monate schwangere Frau hatten auch Corona. Das hat mich sehr besorgt, weil sie musste auch ins Krankenhaus eingeliefert werden. In der Nationalmannschaft hat ein Spieler beide Großeltern an Corona verloren. Und neuestens ist meine Familie mütterlicherseits in Dresden in Quarantäne, weil es Corona-Fälle im Kindergarten gab. Ich vermeide möglichst den Kontakt mit Anderen und auch auf meiner Cardiorunde über dem Mauerweg ist die Maske immer dabei und ich versuche Abstand zu halten.

Wie sieht ihr Karriereplan für die Paralympics bzw. im Parabadminton aus?
Also für uns wurde das letzte Qualifikationsturnier für die Paralympics im März abgesagt. Da hatte ich schon meinen Koffer gepackt – also so kurzfristig wurde es abgesagt. Theoretisch soll dieses Turnier im März nächsten Jahres nachgeholt werden. Und die Paralympics sollen jetzt 2021 stattfinden. Viele im deutschen Badminton-Nationalteam haben sich bereits qualifiziert und müssen jetzt ihre Fitness in einem Jahr unter beschwerten Bedingungen halten. Ich stehe genau auf der Kippe zur Teilnahme, deswegen ist das letzte Turnier für mich sehr wichtig. Wenn dieses Turnier nicht stattfindet, dann bin ich vermutlich erst zur Weltmeisterschaft 2021 in Tokyo.