Was wie ein Zeitzeugen-Interview mit einem ehemaligen Soldaten à la „Opa erzählt vom Krieg“ anmuten soll, ist in Wahrheit eine Zeitreise in die Zukunft. Der fiktive Charakter Anton Lehmann blickt in einem kurzen Video zurück auf das schicksalshafte Jahr 2020. Untermalt von epischer, orchestraler Musik erzählt Anton wehmütig, was er als 22-jähriger Student während der zweiten Welle gemacht hatte: „Absolut gar nichts. Waren faul wie die Waschbären”, so der Greis. Fürs Nichtstun in Pandemiezeiten wurde seine Generation zu Helden gekürt.
„Ein Held ist eine Person, die sich durch große und kühne Taten besonders in Kampf und Krieg ausgezeichnet hat, sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt und dafür Bewunderung erntet.“ So erläutert der Duden den Begriff. Dass die Bundesregierung die Interpretation unseres offiziellen Wörterbuchs missbilligt, zeigt ihr neuester Coup in Sachen Pandemiebekämpfung: die Videokampagne mit dem Namen #besonderehelden.
Mit insgesamt drei Videos versucht die Bundesregierung die Jugend mit einem Augenzwinkern vom #StayHome zu überzeugen. Dass PR-Kommunikation, vor allem von öffentlichen Unternehmen und Staatsorganen eine gute Portion Humor vertragen kann, sieht man an der Erfolgsstory der BVG mit ihrer Weil wir dich lieben-Kampagne. Und nach den ganzen Bohlens, Wendlers und Nuhrs, die dieses Land in den letzten Jahren hervorgebracht hat, ist diese Form des schwarzen Humors wahrhaftig ein Segen.
Neben der klaren Botschaft, zuhause zu bleiben und Kontakte zu reduzieren, bleibt nach den eineinhalb Minuten jedoch fader Beigeschmack: Die verwendeten Kriegsanalogien sind deplatziert, zuhause bleiben ist leichter gesagt als getan und die wahren Helden tummeln sich in den Kliniken.
Der Zynismus, der bei den Parallelen in Wort und Bild zu den Kriegsgeschehnissen des Zweiten Weltkriegs mitschwingt, ist kaum zu überhören. „Unsere Couch war die Front. Und unsere Geduld war unsere Waffe“, heißt es in dem Video. Eine Pandemie bleibt eine Pandemie und kein Krieg. Und ob dieser Vergleich, angesichts 70 Millionen Toter von 1939 bis 1945 klug gewählt wurde, ist äußerst fraglich.
Völlig klar, Zuhausebleiben ist jetzt das Maß aller Dinge. Die Gefahr lauert draußen. Für viele Menschen lauert die Gefahr jedoch auch in den eigenen vier Wänden. Die Zahl der misshandelten Jugendlichen und geschlagenen Frauen stieg während des letzten Lockdowns im Frühjahr in fast allen Bundesländern an. Angesichts dieser Entwicklung, ist der Appell an die Menschen, doch bitte unter allen Umständen daheim zu bleiben, fast ein Affront.
Dass die Bundesregierung in ihren neuen Videos jetzt Couchpotatoes zu Helden der Nation ausruft, irritiert ein wenig. Immerhin wurden im Frühjahr noch Pflegekräfte und die Mitarbeiter an den Supermarktkassen als Alltagshelden gelobt. Nun kommen daheimgebliebene, Netflix-bingende Mittzwanziger in den Genuss dieser Auszeichnung. Wieso dieser Sinneswandel?
Aber genug lamentiert: Das erste der drei Videos wurde auf dem Twitteraccount des Regierungssprechers Steffen Seibert über 1,4 Millionen mal angeguckt. Die Clips sind ein viraler Hit in sozialen Netzwerken. Sie werden tausendfach geliket und geteilt. In den Drukos auf Twitter wird heftig kommentiert und debattiert, ob die Kampagnen-Idee nun ein Schuss ins Schwarze oder eher in den Ofen war. Das Ziel der Filmchen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Zuhausebleiben zu lenken, ist gelungen. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser schrägen Umdeutung des Heldenbegriffs.